Europäisches Kurwesen
Die Entstehung des europäischen Bäderwesens beruht vor allem auf dem uralten Interesse des Menschen an den natürlichen Mineralquellen, die sich insbesondere durch Aussehen, Geschmack und Temperatur von den anderen Quellen unterscheiden. Diese „wundersamen“ Quellen wurden vor allem von den Römern bei ihren Feldzügen auf dem Gebiet des heutigen Frankreich, aber auch in anderen Regionen Europas (dem heutigen Deutschland, Kroatien, Ungarn u.a.) entdeckt. Sie begannen, die Mineralquellen für Wasserheilverfahren zu nutzen.
Das auf europäischer Tradition begründete Bäderwesen entwickelte sich in der Vergangenheit und vor allem in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts im Zusammenhang mit Zustand und Entwicklung der Gesellschaft in den einzelnen Ländern. Das vor allem auf der Nutzung natürlicher Heilquellen begründete Bäderwesen (dazu gehören auch Luftkurorte) mit einem erheblichen Anteil direkter medizinischer Betreuung und mit einem komplexen Herangehen an Heilkuren, ist die Basis dieses Kursystems. Kuraufenthalte, Gesundheitstouristik, Wellness, Beauty und Fitnessprogramme, Regenerations-, Rekonditions- und Relaxaufenthalte – sind heute Produkte und Komplexe der Touristik, die sich ausgesprochen dynamisch entwickeln. Mit einem kompletten Angebot an Unterkunfts-, Gastronomie-, Kultur-, Sport- und vielen weiteren Aktivitäten bildet es einen außerordentlich gefragter Bereich sowohl der individuellen Touristik, als auch der Reisebüros und Touroperatoren.
Der Bädertourismus erlebt in Europa in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance und man kann von einer weiteren dynamischen Entwicklung in Zusammenhang mit dem sich vereinigenden Europa ausgehen - mit der EU-Erweiterung. Es geht nicht nur um einen Gesamtanstieg des Lebensniveaus und des Gesundheitsbewusstseins der Einwohner der Länder Mittel- und Osteuropas, sondern auch um die in Vorbereitung stehenden Assoziationsabkommen, die von einer Zusammenarbeiten im europäischen Rahmen auch auf den Gebieten von Gesundheitswesen und sozialer Betreuung – also der potenziellen Erweiterung der von den Versicherungen erstatteten medizinischen Betreuung im Ausland ausgehen.
Hinsichtlich des Potenzials an Kurprodukten bietet Europa mit seinen mindestens Tausend Kurorten in fast allen Ländern (außer Skandinavien und einigen baltischen Staaten sind eigentlich alle Länder des Kontinents und des anliegenden Mittelmeers einbezogen) eine unerschöpfliche Anzahl von Kapazitäten und Programmen für die verschiedensten Formen, Zeiträume und Motivationen an Aufenthalten. In diese bedeutenden europäischen Zentren drängen neben europäischer traditioneller und klassischer Heilmethoden ständig neue und moderne Trends mit alternativem Charakter einschließlich indischer, chinesischer und orientalischer Heilmethoden vor. Naturheilverfahren wie Kneipp-Kuren erleben ein Comeback. Immer öfter finden sich in den Kurzentren auch modernste Aquaparks, Zentren für kosmetische und ähnliche Dienstleistungen.
Die Vielfalt der Kurgäste reicht von Gästen, die Erholung suchen bis zu Kranken, umfasst alle Stufen der Prävention (primäre, sekundäre und tertiäre) bis zu Rehabilitation und Behandlung chronischer Erkrankungen. Die Kurorte sind auch beliebte Touristenziele – für Junge, Alte, Einsame, Familien mit Kindern und in letzter Zeit auch bevorzugte Orte zur Veranstaltung von Kongressen und Konferenzen. Neben mehrwöchigen Kuraufenthalten mit konkreter Struktur sind auch Kurzaufenthalte verschiedenster Ausrichtung möglich. Vor allem gesunde Gäste können unter Hotels und Pensionen verschiedenster Preiskategorien in den Kurorten wählen. Im Ausstattungsangebot, das eher auf medizinischer Komponenten ausgerichtet ist, können die Gäste therapeutische Einrichtungen für die ambulante Betreuung im Zentrum oder außerhalb des Kurzentrums wählen. Heilanwendungen werden stationär oder teilweise stationär oder im Fall einer akuten Erkrankung in einer leistungsfähigen Klinik durchgeführt.
Ortsgebundene Heilmittel
a) Quellen mit anerkannter therapeutischer Nutzung des Wassers
Sie sind für viele Orte der Ausgangs- und Mittelpunkt der (staatlichen) Anerkennung als Kurort bzw. Kureinrichtung. Es geht um die innere Anwendung, z. B. zum Trinken und Inhalieren sowie um die äußere Anwendung z.B. als Wannenbad oder Bewegungsbad. Letztere sind in der Regel auch öffentlich genutzt und unterliegen den Hygienevorschriften des jeweiligen Landes.
b) Heilgase
Heilgase kommen auch unabhängig von einer Lösung in Quellwasser (siehe Position 11a) vor. Zur Anwendung kommen z.B. Radon, H2S, und CO2. Die Anerkennung der Gase als Heilmittel unterliegt in der Regel dem Recht des jeweiligen Landes.
c) Heilbäder, Kurorte und Kurbetriebe am Meer
Im Mittelpunkt der dort in der Regel angebotenen Thalassotherapie steht unverzichtbar das Meer. Die Nutzung der therapeutischen Wirkung ist an die unmittelbare Nähe und den klimatischen Einfluß (z.B. Salinität der Luft, die Möglichkeit des Badens im Meerwasser) gebunden. Auch mit Blick auf die Thalassotherapie muß die Anerkennung von Bädern und Kureinrichtungen - dann Thalassozentren – die Entfernung zum Meer festlegen (nicht weiter als 600-800m). Hier ist ein europäischer Standard erforderlich. Isolierte Bestandteile des Meeres (Algen, Schlick) kommen zur Thalassotherapie ergänzend hinzu, werden aber wegen ihrer über Entfernungen möglichen Verfügbarkeit auch abseits vom Meer angeboten.
d) Peloide in Heilbädern, Kurorten und Kurbetrieben
spielen in europäischen Heilbädern, Kurorten und Kureinrichtungen eine große Rolle. Sie werden im Sinne von ortsgebundenen und ortsüblichen Heilmitteln zur Therapie eingesetzt. Es besteht weitgehende definitorische Einigkeit. Sie sind bei geologischen und/oder biologischen Prozessen entstanden, werden in Form von Umschlägen, Packungen und auch Bädern eingesetzt. Je nach ihrer Beschaffenheit – organischen und/oder anorganischen Anteilen – werden physikalische, z.B. thermische oder mechanische, aber auch chemische Wirkungen erreicht.
e) Bioklima/Heilklima
Eine für die gesundheitliche Aufgabe dieser Orte unverzichtbare Voraussetzung muß ein geeignetes Bioklima sein, das an Hand von Gutachten für die Anerkennung nachgewiesen werden muß. Zusammen mit einer Luftqualität, die die therapeutische Anwendung des Klimas unterstützt, geht es hier um eine wichtige Basis dieser Orte. Heilklima basiert auf den therapeutischen Einsatz des örtlichen Klimas, das als ortsgebundenes Heilmittel (Reiz-Reaktions-Konzept) der Anerkennung als Kurort zu Grunde liegt; bei einigen Mitgliedsverbänden gilt es als eigener Kurort-Typ.
f) Kneipp-Therapie
Sie wird, oft gemischt mit Elementen der Priesnitz-Therapie, in Heilbädern, Kurorten und Kureinrichtungen häufig eingesetzt, fast durchweg aber nur in der Nutzung einzelner Elemente dieser Lehre. Grundlage einer eigenen Position in der Bädertypologie mit eigener Anerkennung muß das komplexe und durchstrukturierte Behandlungskonzept nach Kneipp sei.